RAPID INTIMACY
in der computervermittelten Kommunikation

Die weltweite Kommunikation über das Internet ist zu einem wichtigen Bestandteil unseres Alltags geworden. Von einem Netzwerk für Wissenschaftler und Ingenieure hat sich das Internet innerhalb weniger Jahre zu einer weltumspannenden, allgemein zugänglichen multimedialen Informationsplattform entwickelt. Das Netz ist jedoch auch Kommunikationsplattform, sowohl für berufliche wie auch private Zwecke. Der Fokus meiner Arbeit liegt auf der privaten Kommunikation der Internetnutzer und hier im Besonderen auf Liebesbeziehungen oder sog. romantischen Beziehungen.

Viele Menschen möchten es nicht dem Zufall überlassen, einen Partner zu finden und gehen gezielt auf die Suche, z.B. durch Kontaktanzeigen oder Vermittlungsinstitute. Im Internet hat diese Methode einen neuen Boom erfahren – durch verschiedenste Singleseiten und Singlebörsen, deren Dienste oft kostenlos und anonym sind. Doch auch sonst können sich überall dort, wo Menschen kommunizieren, Liebesbeziehungen ergeben. Zum Beispiel auch in Internetforen oder -chats, die thematisch mehr oder weniger spezifisch sind.

Vor allem im privaten Austausch im Rahmen von Internetforen und Singlebörsen gehen die Kommunizierenden meist sehr schnell sehr offen miteinander um und geben häufig viele persönliche Details preis. Es ergibt sich virtuell oftmals recht schnell eine Art von Intimität, die in der realen Welt meist erst nach viel längerer Zeit des Kennenlernens entstehen würde. Viele Menschen berichten, dass sich nach relativ kurzer Zeit des mailens oder chattens bereits ein Gefühl von Verliebtheit einstellt, ohne den anderen jemals getroffen zu haben. Genau dies meint „Rapid Intimacy“.

Wie entsteht dieses Gefühl von Intimität und warum entsteht es so schnell? Hat die computervermittelte Form der Kommunikation mit ihren besonderen Bedingungen und Auswirkungen einen Einfluss darauf?

Mit diesen Fragen beschäftige ich mich in meiner Magisterarbeit, die im Februar 2005 am Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen fertiggestellt wurde. Betreut wurde sie von Prof. Dr. Ludwig Jäger.

Die Arbeit ist hier als pdf-Dokument einsehbar.

Eigene Erfahrungen mit Liebesbeziehungen im/durch das Netz, Fragen oder Anregungen? Schreibt mir eine E-Mail !

Forschungshypothesen

  • Anonymität
    Die Kommunikation läuft im Internet, so auch in Singlebörsen und Internetforen, mehr oder weniger anonymisiert ab. Man kann sich jederzeit abmelden oder den Computer ausschalten, aus dem eigenen Handeln entstehen selten Konsequenzen (zumindest nicht bei legalem Verhalten). Daher ist anzunehmen, dass man sich mehr traut bzw. mehr öffnet, „weil einem ja nichts passieren kann“. Außerdem bleibt viel Raum für Spekulationen, da man von seinem Kommunikationspartner meist wenig weiß. Wünsche und Erwartungen in bezug auf einen (potentiellen) Partner können so (unbewusst) auf den Anderen projiziert werden. Das Bild kann erst mal nicht überprüft und korrigiert werden, so dass der Andere in der Phantasie dem eigenen Wunschbild, der „Traumfrau“ oder dem „Traummann“, ziemlich nah kommen kann.

  • Zeit- und Raumfaktoren
    Schriftliche Kommunikation läuft nicht so schnell ab wie das Sprechen in face-to-face-Situationen. Der Druck, antworten zu müssen, tritt in den Hintergrund. Aussagen werden korrigierbar und somit kontrollierbarer. Dies kann ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Dadurch dass die Kommunikationspartner räumlich getrennt sind, gilt ähnliches für die Nicht-Sichtbarkeit von äußerlichen Merkmalen wie Geschlecht, Rasse, Aussehen, Mimik, Gestik, Stimme etc., die zugunsten von Eigenschaften wie Höflichkeit und Hilfsbereitschaft, aber auch Geschick in Rechtschreibung, Wahl gekonnter Formulierungen und Schlagfertigkeit zurücktreten.

  • Kommunikationsstil
    Der Umgangston der privaten Kommunikation ist im Internet meist informeller als in real. Man duzt sich normalerweise sofort oder zumindest sehr schnell. Man schreibt oft, wie man spricht; Sprache wird kreativ verwendet (Wortneuschöpfungen, Aktionswörter, Smileys). Manche Kommunikationspartner entwickeln miteinander auch eine ganz persönliche „Geheimsprache“, die das Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt.

  • Reflexion
    Empfangene Textnachrichten können abgespeichert bzw. ausgedruckt und immer wieder gelesen werden. Gefällt dem Lesenden der Inhalt, kann er beim wiederholten Lesen „das gute Gefühl“ quasi „reproduzieren“ und, so meine Vermutung, durch wiederholtes Lesen sogar steigern. Auch sind die entstandenen Texte, da digital abgespeichert, kreativ verwendbar. Sie lassen sich in neue Zusammenhänge bringen, zum Beispiel in eine Art Tagebuch o.ä.